Was lehrt die Pandemie für den Gottesdienst?

Thu, 21 May 2020 10:18:35 +0000 von Hendrik Munsonius

Was lehrt der Gottesdienst-Shutdown während der Corona-Pandemie?, so fragt Pastor Harald Storz in seiner Predigt zum Sonntag Kantate am 10. Mai 2020 zu 2. Chronik 5,1–14: 

„Schwestern und Brüder, lässt sich aus diesem Krisennarrativ der Chronisten auch ein Narrativ für den Gottesdienst-Shutdown der letzten Wochen entwickeln? Wir Prediger – zum Schweigen verurteilt? Unterbrechung von Predigtroutinen? Könnte uns als Kirche, als Gemeinde der Gottesdienst-Shutdown auch vor die Frage stellen, wie notwendig unsere liebgewordenen Gewohnheiten sind? Muss unser Glauben sich festmachen an diesem Kirchraum? Brauchen wir wirklich so viele Gottesdienste? So viele Predigten? Lässt sich aus diesem Krisennarrativ der Chronisten ein Narrativ für den GottesdienstShutdown der letzten Wochen entwickeln?“

Die gewohnten Gottesdienste waren für acht Wochen nicht mehr möglich. Gleichwohl waren die Prediger auch in dieser Zeit nicht zum Schweigen verurteilt, sondern lediglich auf andere Medien und Formate verwiesen und haben davon in unterschiedlichem Maß Gebrauch gemacht. Die Qualität, die auf diese Weise zutage trat, war sehr disparat. Bei manchen Beiträgen mag man sich in der Tat fragen, ob so etwas gebraucht wird.

Die Frage, ob wir mehr oder weniger Gottesdienste brauchen, scheint mir hinter der zurückstehen zu müssen, welcher Art unsere Gottesdienste sein sollen. 2. Chronik 5,1–14 lässt sich nicht einfach die Pointe entnehmen, dass die Priester an ihrem Dienst gehindert sind. Denn immerhin wird der Tempel erst durch die Wolke, die Gegenwart Gottes, erfüllt, nachdem die Priester und Leviten die Lade in den Tempel gebracht und ihr Loblied gesungen haben. Die Gegenwart Gottes im Tempel steht mit dem Tun der Menschen dort in einem Zusammenhang. Allerdings kommt das Tun zum Ende, sobald sich die Gegenwart Gottes manifestiert.

Daraus lassen sich meines Erachtens zwei Folgerungen ziehen: Unser Handeln im Gottesdienst geschieht nicht um seiner selbst willen, sondern um der Gegenwart Gottes einen Raum zu öffnen. Sobald sich die Gegenwart Gottes jedoch manifestiert, kommt es auf unser Tun nicht mehr an. Es ist stets nur Vorletztes, aber niemals Letztes in der Begegnung der Menschen mit Gott. Und unser Tun muss darauf gerichtet sein, dass sich die Gegenwart Gottes ereignen kann. Doch ist dies in unseren Gottesdiensten tatsächlich der Fall? Geben wir der Gegenwart Gottes in unseren Gottesdiensten wirklich Raum? Wäre der Eintritt der Wolke Störung oder Vollendung unseres Tuns? –

Die Pandemie führt deutlich vor Augen, dass das Leben stets gefährdet ist, dass es Risiken gibt, die nicht beherrschbar sind, und dass nichts so selbstverständlich ist, wie es zuweilen den Anschein haben mag. Wie ist angesichts dieser Lage von Gott zu sprechen? Wer die Rede von Gott ernst nimmt, muss auch solche verstörenden Erfahrungen mit Gott in Zusammenhang bringen. Bibel und Tradition wissen davon, dass Gott immer auch eine dunkle, rätselhafte Seite hat. Wird diese in der Verkündigung ausgeblendet und nur von einem „lieben Gott“ geredet, wird Gott darauf reduziert, unsere Sehnsüchte zu stillen, geht entscheidendes verloren. Gott wird auf diese Weise zum Götzen. Er ist kein wirkliches Gegenüber. Das Gleiche mit anderem Vorzeichen geschieht aber auch, wenn die Pandemie schlankerhand zur Strafe für bestimmtes menschliches Verhalten deklariert wird. So wird Gott zur bloßen Sanktionsinstanz menschlicher Moral. Dieser strafende Gott ist wie der bloß liebende Gott nicht wahrhaft Gott.

Martin Luther hat in seiner Predigt zur Kirchweih der Schlosskirche in Torgau am 5.  Oktober 1544 betont, dass es in einer Kirche darum geht, „daß nichts anderes darin geschehe, als daß unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir umgekehrt mit ihm reden durch unser Gebet und Lobgesang.“[1] Er beschreibt den Gottesdienst damit als ein dialogisches Geschehen. Als solches setzt er voraus, dass Gott für die Gemeinde ein Gegenüber bildet. Dies muss im Gottesdienst erfahrbar sein. Der Soziologe Hartmut Rosa hat ausgeführt, dass das Bemühen, sich etwas verfügbar zu machen, dazu führen kann, dass man nicht mehr in eine Resonanzbeziehung treten kann.[2]

Wenn Gott durch die Art, wie von ihm gesprochen wird, mehr und mehr verfügbar gemacht und auf ein bestimmtes Gottesbild festgelegt wird, wenn nicht seine dunkle, rätselhafte Seite ebenso erfahrbar wird wie seine zugewandte, liebende, dann kann sich keine Resonanz entfalten, dann findet der von Luther bezeichnete Dialog nicht mehr statt. Solche Gottesdienste sind entbehrlich. Gottesdienste werden relevant, wenn sie Gott als ein Gegenüber erfahrbar werden lassen, das in Gebet und Lobgesang, in Klage und Dank angerufen werden kann. Gottesdienste sind relevant, wenn das menschliche Tun sein Ende und seine Erfüllung in der Gegenwart Gottes findet. (21.5.2020)

[1] Zitiert nach M. Meyer-Blanck, Liturgie und Liturgik, 2. Auflage, 2009, S. 32.
[2] H. Rosa, Resonanz, 2016; ders., Unverfügbarkeit, 2018.
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