Pfingstlieder von Martin Luther

Sat, 30 May 2020 15:59:55 +0000 von Hendrik Munsonius

St.Jacobikirche, Göttingen (18.8.2017)

Was das Christentum unter allen Religionen, besonders aber auch unter den drei monotheistischen Religionen, also denen, die an einen Gott glauben, auszeichnet, ist die Eigentümlichkeit, dass hier von dem einen Gott in dreierlei Weise gesprochen wird: Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Heiliger-Geist. Dabei ist Gott-Vater, der Schöpfer, vielleicht noch am einfachsten mit einer Gottesvorstellung zu verbinden. Wenn man an einen Gott glaubt, muss er ja so etwas wie der Ursprung der Welt sein oder die Macht, die die ganze Welt umfängt. Der Glaube an Gott-Sohn ist da schon eine größere Herausforderung. Dieser Mensch Jesus von Nazareth soll Gott gleich sein, wahrer Mensch und wahrer Gott, wie wir es zu Weihnachten singen? Das ist nicht so leicht zu fassen. Aber immerhin kann man sich doch mit der Lebensgeschichte Jesu ganz gut vorstellen, was mit der Rede von Gott-Sohn gemeint ist. Schwieriger scheint es aber doch mit dem Heiligen Geist zu sein. Und so ist das Pfingstfest, bei dem es ja um den Heiligen Geist geht, von allen kirchlichen Hochfesten wohl am wenigstens populär. Was soll man sich auch dabei eigentlich vorstellen?

Die drei Lieder, um die es heute Abend geht, können uns etwas davon näherbringen. Alle drei haben alte, ja sehr alte Vorlagen, alle drei sind uns in einer Textfassung von Martin Luther überliefert, die dieser 1524 gedichtet hat. Alle drei besingen den Heiligen Geist und tun das auf ähnliche Weise. Immer wieder wird der Heilige Geist als Licht, als Liebe und als Tröster angeredet. Immer wieder wird um seine Gegenwart und seinen Beistand gebetet. Immer wieder geht es darum, dass der Heilige Geist uns Gott-Vater und Gott-Sohn recht erkennen lassen soll. Und doch sind diese drei Lieder trotz der großen Gemeinsamkeiten auch sehr verschieden.

https://www.youtube.com/watch?v=ZAaqErOO1ww

„Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“ hat von unseren drei Liedern die ältesten Wurzeln. Die Textvorlage ist auf das Jahr 809 datiert, die Melodie etwa auf das Jahr 1000. Die Vorlage war für Luther schon so alt, wie für uns die Fassung von ihm. Ist das nicht eindrucksvoll, wie so ein Lied über die Jahrhunderte, ja über ein Jahrtausend hinaus Bestand hat? Der Melodie hört man ihr Alter an. Sie hat etwas archaisch-ehrwürdiges. Sie beginnt in bequemer Mittellage, schwingt sich in zwei ausgreifenden Anläufen zu ihrem höchsten Ton auf, von dem sie in zwei Schwüngen zum Ausgangston zurückkehrt. In diesem Lied steht von der ersten Anrede an das Einssein des Heiligen Geistes mit Gott Vater im Vordergrund, wenn auch in den letzten beiden Strophen Gott in seiner Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Geist angeredet und gepriesen wird.

Der Charakter von „Nun bitten wir den Heiligen Geist“ ist ernster. Es geht um den Beistand des Heiligen Geistes in Not, Anfechtung und Sterben. Die Melodie ist gemessener, durchschreitet zwar einen größeren Tonraum als die vorige, bewegt sich aber vor allem in der tieferen Lage, die Tonschritte sind kleiner und das Tempo gemessen. Jede Strophe wird mit dem Ruf „Kyrieleis“, also „Herr, erbarme dich“, abgeschlossen. In diesem Lied steht im Vordergrund, dass der Heilige Geist uns Jesus Christus, also Gott-Sohn nahebringt, der menschliche Not geteilt und selbst durchlitten hat.

In deutlichem Kontrast zum vorigen tritt „Komm Heiliger Geist, Herre Gott“ uns entgegen. Dieses Lied hat die längste, lebhafteste und ausgreifendste Melodie. Halbe-, Viertel- und Achtelnoten, Bindungen und Synkopen geben dem Lied ein starkes rhythmisches Gepräge. Der Tonraum von einer reichlichen Oktave wird mehrfach in großen Schwüngen durchschritten. Auch der Text versagt sich keine große Geste und greift weit aus. Und sinnfällig wird jede Strophe mit einem lobpreisenden zweifachen „Halleluja“ abgeschlossen. Dieses Lied kann mitreißen und begeistern. Johann Sebastian Bach hat seine großartige doppelchörige Motette „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“ mit der dritten Strophe dieses Liedes abgeschlossen. Und wer das einmal mitgesungen hat, hört praktisch immer gleich die ganze Motette mit, wenn dieses Lied kommt. Ein kleines Pfingstfest!

Drei Lieder bedenken wir heute, die auf unterschiedlich alte Vorlagen zurückgehen und denen Martin Luther im gleichen Jahr die Gestalt gegeben hat, in der wir sie bis heute singen. Gerade weil diese drei Lieder so ähnlich und zugleich so verschieden sind, passen sie so gut zueinander. Diese drei Lieder, die vom Heiligen Geist und zugleich vom dreieinigen Gott singen, die vom Trost in Not und Tod, von Liebe und Licht, von Zuversicht, Begeisterung und Lebenslust künden, sie können uns so in Höhen und Tiefen zu einer Schule des Lebens und des Glaubens werden. 

Prädikant Dr. Hendrik Munsonius
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