Nachgedacht

Nicht nur Zeichen setzen - Konsequenzen ziehen

 Am 28. März sollen wieder einmal in der "Earth Hour" zwischen 20.30 Uhr und 21.30 Uhr für eine Stunde die Lichter ausgehen, um ein Zeichen für "unseren lebendigen Planeten" und besseren Klimaschutz zu setzen. Wer wollte etwas dagegen haben? Es wird doch so auf ein drängendes Problem hingewiesen. Und doch beschleicht mich ein Unbehagen bei dieser und ähnlichen Aktionen. 

Die Earth Hour findet seit 2007, d.h. jetzt zum 14. Mal statt. Sie hat mittlerweile den Charakter eines alljährlichen Rituals. Solche Rituale sind wichtig, um Themen im Bewusstsein zu halten. Doch ist dieses Thema nicht spätestens seit Fridays for Future so präsent, dass es eines solchen Rituals nicht mehr bedarf? Dient dann das Ritual nicht eher der Beruhigung: Wir haben immerhin ein Zeichen gesetzt?

Wer ein Zeichen setzt, appelliert damit an andere. In diesem Fall soll es sich an die politischen Entscheidungsträger richten. Auch ein solcher Appell mag wichtig sein. Doch dann muss man auch bereit sein, Entscheidungen der Politik zu akzeptieren, wenn sie auch für einen selbst schmerzhaft sind.

Wer ein Zeichen setzt, sollte auch selbst Konsequenzen ziehen. Sonst wird das Zeichen unglaubwürdig. Die freiwillige Selbstbeschränkung - von vielen wird sie bereits ganz still und unauffällig praktiziert. Es könnten aber noch viel mehr werden. Nutzen wir also die Earth Hour nicht nur, um ein Zeichen zu setzen, sondern auch, um die eigene Lebensführung zu überdenken.  (27.3.2020)

"Alles gut!" - Alles gut?

Eine Floskel kommt immer mehr in Gebrauch: „Alles gut!“ Das klingt erstmal gut und ist sicher auch gut gemeint. Und doch stört mich schon länger etwas daran, ohne dass ich gleich sagen konnte, woran das liegt. Doch drei Aspekte sind mir mittlerweile deutlich geworden:
  • Die Floskel „alles gut“ ist unrealistisch. Denn wer wollte allen Ernstes behaupten, dass wirklich alles gut ist?
  • Die Floskel „alles gut“ würgt Kommunikation ab. Denn was gibt es noch miteinander zu reden, wenn wirklich alles gut ist?
  • Die Floskel „alles gut“ banalisiert. Sie wird den besonderen Momenten, wenn wirklich einmal alles gut zu sein scheint, nicht gerecht. 
Vielleicht ist eine etwas aufwendigere Formulierung nötig, wenn man erklären will, dass zwar nicht alles, aber etwas gut und in Ordnung ist ... (2019)

Zwischenruf

In wie vielen Gemeindebriefen dürfte in diesen Wochen mit dem Hinweis auf die vorweihnachtliche Hektik zu besonderen Veranstaltungen eingeladen worden sein, in denen es besinnlich zugehen soll. Doch wie viel der beklagten Hektik kommt gerade durch diese zahlreichen Zusatztermine zustande? Sind sie eine Lösung oder nicht doch auch Teil des Problems? (2016)

Weniger ist mehr – oder: Der große feine Unterschied

Eine Entdeckung kann machen, wer sich einmal genauer mit dem Advent beschäftigt. Man kann ja den Eindruck habe, als beginne mit dem Ersten Advent eine Festzeit, die sich über vier Wochen bis zu den Weihnachtstagen hinzieht und dann allenfalls noch bis zum Epiphaniastag am 6. Januar nachklingt. Doch warum wird schon vor dem eigentlichen Fest so lange gefeiert?
Ursprünglich ist der Advent eine Buß- und Fastenzeit, eine Zeit der Vorbereitung und Einkehr. Darum ist seine liturgische Farbe auch violett und das „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ in den Gottesdiensten fällt aus. Die Texte dieser Sonntage rühren an tiefste menschliche Erfahrungen: Vergänglichkeit, Schuld und Sehnsucht. Verheißung und Vorfreude zeigen sich unter dem Aspekt des „noch nicht“. Das Weihnachtsfest indes kündet von Erfüllung, Heil und Freude. Seine Farbe ist das festliche Weiß und selten sind Kirchen und Häuser so reich geschmückt, wie zu diesem Fest.

Seit mit der Unterschied zwischen Advent und Weihnachten bewusst ist, sind mir beide Zeiten wertvoller geworden, und ich koste sie auf ihre Weise aus. Besonders den Advent suche ich anders zu begehen als zuvor. Es gibt ein paar Kennzeichen dieser Zeit, auf die ich nicht verzichten will: die vier Kerzen, die nach und nach entzündet werden, und der Herrnhuter Stern, der ab dem Vorabend des Ersten Advent in meinem Fenster leuchtet. Doch im Übrigen lautet meine Devise: Weniger ist mehr! Ich entschleunige, mache möglichst nichts Zusätzliches – auch nichts „Besinnliches“. Die Gottesdienste am Sonntag lasse ich mir genügen. Und was ohne Schaden bis Januar aufgeschoben werden kann, wird gerne mal aufgeschoben.

Das Fest beginnt mit dem Heiligen Abend. Und dann weiß ich auch alles zu schätzen, was die Tradition bietet: Weihnachtsbaum und Krippe, Festessen und Gebäck, Familientreffen und Weihnachtsmusik. Die Tage „zwischen den Jahren“ und bis zum Epiphaniastag werden so zu einer ganz unalltäglichen Zeit. Und das mag noch über Wochen nachklingen. Den Herrnhuter Stern lasse ich bis zum 2. Februar leuchten, dem Fest der „Darstellung des Herrn“. Erst dann ist der Festkreis für mich ganz rund. (2015)

Über Sünde sprechen

Wenn heutzutage gefragt wird, welcher Aspekt beim Abendmahl unter vielen anderen der wichtigste ist, nimmt "Gemeinschaft" eine unbestreitbare Spitzenposition ein. Im Kleinen Katechismus Martin Luthers taucht hingegen am häufigsten auf: "Vergebung der Sünden". Darin mag man zwei schwer zu vereinbarende Aspekte sehen. Doch recht betrachtet gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang. Denn was ist Sünde anderes als das, was die Beziehungen eines Menschen zu sich selbst, zu den Mitmenschen und zu Gott beschädigt? Wie soll also Gemeinschaft möglich sein ohne die Überwindung, d.h. Vergebung der Sünde?
Das Thema "Sünde" gehört darum unmittelbar zum Abendmahl, gerade auch, wenn der Gedanke der "Gemeinschaft" betont wird. In einer Orientierungshilfe der Ev. Kirche in Deutschland ist dazu zu lesen:

"Wenn allerdings die vielfältigen Probleme gegenwärtiger Gemeinden mit der biblischen wie reformatorischen Begrifflichkeit zum Anlaß genommen werden, die Dimension der Sünde aus dem Abendmahl zu entfernen und alle entsprechenden Stücke bzw. Texte zu vermeiden, dann geht der Sinn der gesamten Handlung verloren." (Ev. Kirche in Deutschland, Das Abendmahl, 2003, S. 52)

Doch ist es wirklich so, daß die Gemeinden nur Probleme mit der "Begrifflichkeit" haben? Besteht nicht vielmehr ein (ganz natürlicher) Widerstand gegen die Sache? Denn mit dem Thema der "Sünde" wird das Bild, das wir vom Menschen und jeder von sich haben, fundamental infragegestellt. Das ist der Stachel, und den werden wir nicht los. (2014)