100 Jahre Religionsrecht in Deutschland

Sun, 26 May 2019 13:38:24 +0000 von Hendrik Munsonius

Vor 100 Jahren am 14. August 1919 trat die Reichsverfassung in Kraft, die in den Monaten zuvor von der Nationalversammlung in Weimar diskutiert und beschlossen worden ist. Damit ist eine entscheidende Wende im Verhältnis von Staat und Religion markiert. Über mehr als 1500 Jahre waren weltliche und kirchliche Macht eng miteinander verwoben. War das Mittelalter vom Mit- und Gegeneinander von Kaiser und Papst bestimmt, so übernahm in der Reformation die weltliche Obrigkeit die Leitung der evangelischen Kirche. Gewissermaßen war der Landesherr fortan auch Landesbischof. Dem setzte die Weimarer Reichsverfassung ein Ende mit den schlichten Worten: „Es besteht keine Staatskirche.“

Was 1919 in Fragen der Religion geregelt worden ist, gilt noch heute. Diese Artikel wurden 1949 einfach zum Bestandteil des Grundgesetzes erklärt. Das Religionsrecht (traditionell auch Staatskirchenrecht genannt) ist das älteste noch geltende Verfassungsrecht in Deutschland. Ist es deswegen auch überholt?

Man hat 1919 in der Nationalversammlung einen Kompromiss gefunden. Die Linksparteien SPD und USPD wollten eine strikte Trennung von Staat und Kirche, die Mitte-/Rechtsparteien wollten den Status der Kirchen möglichst erhalten. Schließlich hat man sich auf drei Ziele verständigt: Die Trennung von Staat und Kirche wurde festgeschrieben. Den Kirchen blieb im Übrigen ihr Rechtsstatus erhalten; sie wurden nicht auf das Format vom Vereinen zurückgesetzt, sondern blieben „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Und alle anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften haben seither den Zugang zu gleichen Rechten wie die Kirchen. Sie sollen, wie es damals hieß, alle „von gleicher Ehre“ sein.

Trennung schließt Kooperation nicht aus. Über alle Fragen der Religion und Weltanschauung entscheidet nicht der Staat, sondern die Bürger und die Religionsgemeinschaften. Darum ist der Staat immer dann auf Kooperation mit den Religionsgemeinschaften angewiesen, wenn es in seinem Bereich um Religion geht – zum Beispiel beim Religionsunterricht, Theologischen Fakultäten und in der Gefängnisseelsorge.

Lange Zeit dominierten die beiden großen Kirchen die religiöse Lage in Deutschland. Mittlerweile sind auch viele andere Religionen im Blick, vor allem der Islam. Das heißt aber nicht, dass das 100-jährige Religionsrecht dadurch überholt ist. Im Gegenteil: Es tritt jetzt erst die Lage ein, für die es gemacht ist – die Vielfalt von Religionen und Weltanschauungen. Gerade jetzt kann sich die Weisheit des Kompromisses von 1919 erweisen.

Hendrik Munsonius

Zum Weiterlesen: Hans Michael Heinig / Hendrik Munsonius (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht, 2. Auflage, 2015.

Horst Dreier, Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, 2018. 

(aus: Kirche für die Stadt. Magazin der Ev.-luth. Kirchengemeinden der Göttinger Innenstadt, Ausgabe 27, Juni 2018, S. 5)
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